Everything-as-a-Service (XaaS) Modelle liegen im Trend, versprechen sie ein erhebliches ökonomisches Potenzial für die deutsche Industrie. Die Praxis zeigt jedoch deutlich, dass viele Unternehmen immer noch ausschließlich auf den Produktverkauf – das Hardselling – setzen, stellt sie die Transformation ihres Geschäftsmodells doch vor erhebliche Herausforderungen. Dabei widerspricht das mit dem Hardselling verbundene „Speed-Dating“ mit dem Kunden, um die Ware möglichst zügig und profitabel zu veräußern, dem Kern von XaaS, das den langfristigen Erfolg mit dem Kunden in den Vordergrund stellt. Welche Gründe die Einführung von XaaS behindern oder sogar für ein Scheitern angestoßener Projekte sorgen, reflektiert dieser Beitrag und weist gleichzeitig mögliche Wege zu einer erfolgreichen Transformation vom reinen Produktanbieter zum zukunftsorientierten As-a-Service-Anbieter.
Grund 1: Fliegen, bevor Ihnen Federn gewachsen sind
Die erfolgreiche Transformation des transaktionalen Geschäftes hin zu XaaS ist kein Kippschalter. Der Wandel von einem einfachen, produktorientierten Geschäft zu outcome-orientierten XaaS-Geschäftsmodellen ist stufenweise von der Ergänzung eines Servicegeschäftes über die Weiterentwicklung von SLAs bis hin zu fortgeschrittenen digitalen Services und Produkten zu realisieren. Viele Unternehmen versuchen seit mehreren Jahren diesen Weg zu beschreiten und haben eine Menge Geld in die Weiterentwicklung ihres Geschäftsmodells investiert – mit mehr oder weniger großem Erfolg. Um schlussendlich den Paradigmenwechsel vom profitablen Servicegeschäft zu einem Szenario zu realisieren, in dem der Anbieter „Kunde der eigenen Services“ ist, müssen Anbieter den hohen produkt- und insbesondere den
servicebasierten Anforderungen gerecht werden können. Hierzu ist die nahtlose Integration und Nutzung digitaler Produkte und Services als Katalysator von XaaS-Geschäftsmodellen notwendig. Erst dann ist es möglich, XaaS profitabel anzubieten, Transparenz über die Nutzenphase zu erhalten und so die stets postulierte „Win-Win-Situation“ zu schaffen.
Grund 2: Agieren in einem Krabbenkorb
Wie Charles L. Allen es uns in seinem Buch „The Miracle of Love“ mitteilte, brauchen Krabbenkörbe keinen Deckel. Sobald eine Krabbe an der Wand des Korbes hinaufklettern möchte, wird sie von einer anderen ergriffen und wieder herabgezogen. Ganz gleich verhält es sich, wenn in ihrem Unternehmen ein
„Wettbewerb der Geschäftsmodelle“ geschürt wird. Konflikte zwischen dem Produkt-, Service- und Digitalgeschäft werden das Wachstum nachhaltig hemmen. Daher ist es zwingend notwendig, Synergie-Effekte zu identifizieren und eine ganzheitliche intraorganisationale Strategie umzusetzen.
Grund 3: Jazz mit einem Symphonieorchester spielen
Das Symphonie-Orchester: Ein Ensemble von Spitzen-Musikern, die streng nach Vorgabe, präzise arbeiten und durch den Dirigenten geleitet werden. Nichts bleibt dem Zufall überlassen, das perfekte Klangerlebnis ist das Ziel. Ganz nach dem Vorbild von Steve Jobs geht es letztendlich um das beste Gesamtergebnis, die beste Erfahrung für den Kunden und zwar bis in kleinste Detail. Eine geeignete XaaS-Strategie muss immer kürzeren Innovationszyklen trotzen und schnell auf Markt- und Kundeneinflüsse reagieren. Sie kann nur dann erfolgreich sein, wenn sie kontinuierlich überprüf- und anpassbar ist. Genau wie eine Jazzband, die sich aus Improvisationstalenten zusammensetzt, agil und flexibel handelt sowie ihren Klang immer wieder neu erfindet, gilt es auch bezüglich der XaaS-Strategie Bestehendes kontinuierlich zu hinterfragen und sich datenbasiert, zeitnah und flexibel zu verändern. So ist es möglich, neue Anforderungen und Rahmenbedingungen zu berücksichtigen und das partizipative Geschäftsmodell stetig weiterzuentwickeln.
Grund 4: Glauben, dass der Elefant nicht tanzen kann
„Was wir tun, ist einfach zu komplex.“ So lautet die perfekte Ausrede vieler Industrieunternehmen auf die Frage, warum sie sich nicht digital transformieren und in die Welt von XaaS-Modellen eintauchen. Die Komplexität erstreckt sich über den gesamten Lebenszyklus vieler Lösungen und war in den letzten Dekaden ursächlich sowohl für den Erfolg und als auch für die Trägheit des bestehenden Geschäfts. Die Unternehmen haben tausende von Produkten im Angebot, die konfiguriert, verkauft, installiert, betrieben und gewartet werden müssen. Als Folge sind verschachtelte Abteilungen entstanden, die Spezialist:innen und meist inkompatible Systeme für verschiedenste Anwendungsfälle und Produkte bereithalten. Unternehmen, die weiterhin an dieser Komplexität festhalten und davon ausgehen, dass dieser organisatorische Elefant schlicht und einfach nicht „zum Tanzen gebracht werden kann“, werden kein erfolgreiches XaaS-Geschäft etablieren. Es ist zu vermuten, dass sie die nächsten Dekaden nicht überleben. Wie schon Leonardo Da Vinci sagte: „Einfachheit ist die höchste Stufe der Vollendung“. Gleich dem damaligen Konzernchef von IBM, Lou Gerstner, der den Mut hatte, sich von starren, traditionellen Geschäftspraktiken zu trennen und so das Ruder herumzureißen, muss auch die deutsche Industrie verstehen, dass in einer Welt, in der internationale Softwareunternehmen die Branche langsam aber sicher auffressen, ein Wandel hin zu servicegetriebenen Geschäftsmodellen unausweichlich ist. Dank Gerstners Führung konzentrierte sich IBM auf IT-Services und Software, statt den trägen Konzern wie ursprünglich geplant, der Agilität willen, in kleine Teile zu zerschlagen. Mit dem Titel „Wer sagt, Elefanten können nicht tanzen?“ wurde Gerstners Strategie berühmt und ist heute so aktuell wie eh und je.
Grund 5: Das Feld mit Pfeil und Bogen bestellen
Möchte man langfristig im XaaS-Geschäft erfolgreich sein, kann der klassische „Hunter-Vertrieb“ mit dem Kontakt zweier Personen (Vertrieb und Einkauf) nicht erfolgreich sein. Vielmehr ist ein kollaboratives Vorgehen anzustreben, das alle Stakeholder auf Anbieter -und Nachfrageseite einbezieht. Voraussetzung für eine erfolgreiche Anbieter-Kunden-Beziehung sind ferner Vertrauen und Offenheit, eine intensive Kundenwahrnehmung und -orientierung sowie der Fokus auf Mehrwert für beide Seiten. Es gilt, das Potenzial der Kunden zu erkennen und im Laufe der Zeit auszubauen. Jede Geschäftsbeziehung ist als Investition zu sehen, die Ressourcen zugunsten langfristiger Erfolge bündelt.
Grund 6: Immer die Hintertür offen halten
Wie Professor Götz Werner in seiner Autobiographie sagt: „Ein bisschen Change ist unmöglich“. Es hat keinen Sinn, den Weg vom transaktionalen Geschäft in die XaaS-Welt zu nehmen und sich eine Hintertür offen zu halten. Der Moment der Wahrheit wird kommen. Wohl dem, der dann vorbereitet ist und dafür gesorgt hat, dass der Wandel in der Organisation von den Beschäftigten wahrgenommen und getragen wird. Dies erfordert eine klare Strategie dazu, wie der Schritt vom transaktionsorientierten zum partizipativen, wiederkehrenden und lösungsorientierten Geschäft in der Belegschaft kommuniziert und eine hohe Akzeptanz aufgebaut werden kann.