Hinter Serviceleistungen verbergen sich hochkomplexe Prozesse und Technologien. Zum Service gehören auch immer Menschen: Sie setzen Technik ein, planen Services und entwickeln innovative Lösungen. In unserer Serie „Manager:in im Porträt“ stellt die Service Today-Redaktion Entscheider:innen aus dem Service vor, die mit ihrer Erfahrung und ihrem Wissen innovative Dienstleistungen für ein Unternehmen entwickelt, etabliert und somit das Unternehmen wesentlich vorangebracht haben. Für die Folge in dieser aktuellen Ausgabe sprach Service Today-Redakteur Michael Braun mit Sina Kämmerling, Gründerin und Geschäftsführerin der FINDIQ GmbH.
Ein Jobwechsel ist nicht selten eine sehr schwere Entscheidung: Man verlässt dabei ein bekanntes Umfeld, begibt sich auf neues Terrain. Das ist oft aber natürlich auch ein Argument für den Wechsel. Ein noch größerer Schritt ist der Wechsel vom Angestelltenverhältnis in die Selbstständigkeit. Man muss alles neu aufbauen, alles neu kennenlernen, sich mit formalen Dingen beschäftigen, die einem vorher das Unternehmen abgenommen hat. Um das umzusetzen, braucht man den vielzitierten Unternehmergeist. Sina Kämmerling hat ihn. „Ich habe ihn eigentlich schon immer in mir gehabt. Ich glaube, dazu gehört auch eine gewisse Risikobereitschaft. Was am Ende bei mir der Auslöser war, tatsächlich ein Unternehmen zu gründen, war den richtigen Partner zum Gründen gefunden zu haben mit Patrick Deutschmann“, erklärt die Gründerin, die im April 2022 mit der FINDIQ GmbH an den Start gegangen ist.
Gründung ist Vision, aber auch sehr rational
„Am Ende ist so eine Gründung tatsächlich nicht nur eine Vision, sondern auch eine rationale Entscheidung. Passen die Kompetenzen, die man hat? Patrick Deutschmann, der die Software und den Algorithmus entwickelt hat, und mein Gespür dafür, das Kundenproblem zu verstehen – das war die richtige Kombination.“ Dazu kam: „Wir sind auch vom Typ ganz unterschiedlich, ich bin sehr intuitiv, emotional getrieben. Für mich ist immer alles möglich, weil ich glaube, über eine positive Einstellung positive Ergebnisse zu erzielen. Ich brauche aber jemanden, der im Hintergrund das dann mal durchrechnet. In der Kombination hat das für mich überhaupt erst Sinn ergeben.“ Sina Kämmerling stammt ursprünglich aus Ostwestfalen-Lippe, hat International Business studiert, verfügt also über einen BWL-Hintergrund. Sie ist dann in die Unternehmensberatung gewechselt, erst zu Ernst & Young in Hamburg, dann wieder zurück nach Paderborn, zur UNITY AG. „Und da habe ich dann für mich den Maschinenbau entdeckt. Mich hat die Technik begeistert als jemand, der den Hintergrund nicht hat, und die Menschen, die Fachexpertise haben, um Maschinen zu konstruieren und zu entwickeln. In meinem Fokus standen Beratungen in Richtung der Digitalisierung von Produktionen, dem Aufbau digitaler Geschäftsmodelle rund um die Maschine, und hier auch zunehmend neue Service-Geschäftsmodelle“, erklärt sie.
Wettbewerb des Spitzenclusters „it‘s OWL“
Etwas untypisch war dann der Weg zur Gründung. „Im Juni 2020 gab es bei uns in der Region einen Wettbewerb, ausgerichtet vom Spitzencluster „it’s OWL“.“ In dem Wettbewerb ging es darum, herauszufinden, was die größten 20 Probleme sind, vor denen die Unternehmen der Region durch Corona stehen. Die Frage war: Welche jungen Menschen aus der Region haben Lust, sich mit den Themen zu beschäftigen und dazu Lösungen zu entwickeln? „Und tatsächlich war das die Challenge, die mich ansprach“: Es ging darum, dass die Maschinenbauer ihre Servicetechniker:innen nicht ins Feld schicken konnten, weil die Grenzen geschlossen waren. Hierdurch standen die Maschinen und Produktionen weltweit still und die Kosten schossen in die Höhe. Der Ansatz des Wettbewerbs: Man konnte über zwei Tage an diesem Thema mit einem Team zusammen Lösungen entwickeln: „Wir haben dann mit unserer Lösung versucht, über ein Frage-Antwort-Spiel direkt den Menschen an der Maschine zu befähigen und selbst zur Servicelösung zu führen. Unser Ansatz war innovativ; möglicherweise, weil wir im Team so unterschiedlich aufgestellt waren; wir hatten Ingenieure und Softwareentwickler dabei. Letztlich haben wir den Wettbewerb gewonnen und damit eine Million Euro Forschungsgeld erhalten“, erläutert Sina Kämmerling die Idee, die sich aus der Wettbewerbssituation entwickelte.
Am Anfang stand ein Forschungsprojekt
Das war aber nicht der Moment der Gründung, sondern das Geld war erst einmal dazu da, dass die Arbeitgeber die Projektteilnehmenden für ein Jahr abstellen konnten. „Wir waren im Forschungsprojekt drei Maschinenbauer, dazu Forscher von Fraunhofer und mein Arbeitgeber, die UNITY AG“, erklärt die Gründerin. Vor dem Beginn der Forschungsarbeit stand aber zunächst – Bürokratie: Das Forschungsgeld musste beantragt werden. Vom Start 2020 bis zur Bewilligung der Gelder ging ein dreiviertel Jahr ins Land: „Es waren virtuelle Zeiten – wir haben uns alle gar nicht physisch getroffen, sondern nur remote gearbeitet, was alles natürlich nochmal herausfordernder gemacht hat.“ Mit der Bewilligung konnten die Neu-Forscher ihre Idee schließlich validieren und über das Projekt zu einer Lösung kommen. Der Kern: Die Lösung soll auf Basis von Expertenwissen Serviceprozesse, insbesondere Fehlerdiagnosen leichter machen. „Wir haben konkret geschaut, was ein kritischer Prozess im technischen Service ist, und das ist das Thema Fehlerdiagnose und -behebung“, sagt Sina Kämmerling. „Das ist auch ein Prozess gewesen, den wir über die Forschungsarbeiten identifiziert hatten, als einen Prozess, der häufig eben noch den Experten braucht. Dann hatten wir auch die Chance, Marktanalysen zu machen und einen Prototypen zu programmieren. Die Haupterkenntnis der Gründer:innen aus dem Projekt lautete: Es muss eine Lösung sein, die leicht zu bedienen ist, die es einem also einfach macht, das Wissen aufzunehmen und genau so einfach am Ende auch wieder auszugeben. „Was man häufig findet, sind Wissensmanagement-Lösungen, die quasi Ablagesysteme generieren. Die zwingen aber einen Techniker, im Einsatz nach Wissen zu suchen, zum Beispiel nach Fehler-Historien oder vorangegangenen Ereignissen. „Studien zeigen aber auch, dass die Fähigkeit nach genau dem Inhalt, den ich brauche, zu suchen, geringer wird“, erklärt sie. Sie erkannte die Notwendigkeit, dass Wissen intelligent so verarbeitet werden müsste, dass jede:r Anwender:in – in dem Fall die Service-Techniker:innen – das Wissen durch eine Schritt-für-Schritt-Anleitung abrufen kann. „Das war dann unser Ansatz: Was wir in Richtung Wissenstransfer umsetzen wollen, muss aus dem Anwendungsfall und dem konkreten Bedarf heraus entstehen. Es geht um den Moment, in dem ein Mensch an der Maschine das Bedürfnis hat, einen Experten zu involvieren.“ Nicht im Fokus stand also, dass man einfach nur entstandenes Wissen ablegt, „also der typische Fall, dass ein Mitarbeitender in Rente geht und nochmal schnell alles runterschreibt, was er weiß. Denn dann hat man einen Wust an Themen, der aber erst einmal nicht wirklich im Anwendungsfall hilfreich ist. Mit der Idee, hier anzusetzen, haben wir dann das Forschungsprojekt im Januar 2022 beendet.“ Und dann stand die Entscheidung an: „Machen wir weiter oder gehen wir zurück in den Job? Und mein damaliger Forschungspartner Patrick Deutschmann, der im Laufe des Projektes eine Idee für den Algorithmus entwickelt hatte, sagte: ‚Sina, wenn du gehst, geh ich mit.‘ Und dann haben wir beide unsere Jobs gekündigt, Anfang letzten Jahres. Und haben alles ganz neu aufgebaut.“
Gründungsphase mit starken Gefühlen
Die Gründungsphase war von starken Gefühlen geprägt, schließlich stehen da auch einige existenzielle Fragen im Raum: „Die Abwicklung der Formalia mit Abschluss beim Notar dauerte von Januar bis April 2022, aber dazwischen war es eine Achterbahnfahrt. Ich bin in der Lebensphase Ende 20, wo manch anderer sich eben sein ‚Haus und Hof‘ aufbaut. Ich stand vor der Frage: Sage ich bewusst noch einmal, ‚ich gehe einen Schritt zurück‘. Ist das der richtige Schritt?“, erklärt Sina Kämmerling die Gefühlslage. „Ja“, antwortet sie schließlich, „denn das, was wir bei FINDIQ machen, behandelt ein relevantes Problem, das über die nächsten 10 Jahre vorhanden sein wird. Die große Nachfrage am Markt, die schnellen Anfragen machen uns zusätzlich Mut.“
Netzwerken im KVD
Patrick Deutschmann hat dann angefangen zu programmieren, Sina Kämmerling hat ihr Netzwerk ausgebaut, und der KVD war einer der ersten Verbände, der für die beiden Gründer:innen relevant erschien. „Wenn wir bei uns in Ostwestfalen zu Maschinenbauern gegangen sind, hatten diese einfach immer irgendwo eine ServiceToday liegen. Und alle, mit denen wir gesprochen haben und die sich serviceorientiert gezeigt haben, sind Mitglied im KVD – ein super Zugang für uns in den Markt und zu den relevanten Themen. Über LinkedIn & Co. erreiche ich sicher ein junges Publikum, aber keine Servicetechniker. Dafür ist so eine Fachzeitschrift wie die ServiceToday extrem wertvoll.“ Der Ansatz von FINDIQ ist recht pragmatisch und spricht hierdurch auch die kleinen und mittleren Unternehmen mit einer Service-Organisation an. „Die Idee, innerhalb von wenigen Stunden eine Wissensbasis zu Fehlern aufgebaut zu haben, ist einfach interessant auch für die kleineren Maschinenbauer“, sagt sie, und so entstehe auch eine Koexistenz zu allen anderen Wissenstransfer-Lösungen, in denen Service digitalisiert wird: „Wir sind nicht auf einer großen Flughöhe unterwegs, sondern holen den Maschinenbau auf der Praxisebene ab. Da hilft uns auch unser Team. Wir haben selbst auch ehemalige Servicetechniker dabei, die die Praxis kennen, wir kommen alle aus der Region. Ich mag das Bodenständige, das schnelle Finden von pragmatischen Lösungen. Wenn wir jetzt zu den Kunden schauen, dann erkennen diese einen Mehrwert in FINDIQ, sind bereit, mitzuentwickeln, denn natürlich haben wir nach einem Jahr noch viele Ideen, die wir jetzt umsetzen wollen.“ Aber den Gründer:innen ging es erst einmal darum, ein relevantes Service-Problem in wenigen Stunden lösen zu können. „Das hat uns Glaubwürdigkeit verschafft und unserer Lösung einen Sinn gegeben. Es ist eine Software, die relativ wenig Wissen braucht“, erklärt Sina Kämmerling, „das ist ein recht schlanker Ansatz, bei dem der Kunde schnell weiß, ob das für ihn funktioniert oder nicht. Dadurch macht man sich ganz schön transparent, aber das ist der Weg.“