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Carsten Kraus entwickelte bereits als Jugendlicher seine erste Innovation: eine neue Kernstruktur für Programmiersprachen, die 70-mal schneller als die von Atari war – und mit 700.000 Computern ausgeliefert wurde. Aus seiner Neugier für Algorithmen und KI entstanden zahlreiche Produkte, die heute die Stammdaten von Großkonzernen bereinigen und die nahezu jeder Europäer beim Einkaufen im Internet verwendet. Allein in den letzten drei Jahren meldete Carsten Kraus jeweils mindestens ein Patent für KI-Verfahren an. Jede Menge Kompetenz stand also auf der Bühne des KVD Service Congress 2022 in Essen. ServiceToday-Redakteur Michael Braun hat mit Carsten Kraus über seine Einschätzungen zum Thema KI im Service gesprochen.

Michael Braun: Wir sprechen über Künstliche Intelligenz als disruptive Technologie – und zwar nicht nur in der Industrie. Ist KI aus Ihrer Sicht ein Gamechanger?

Carsten Kraus: Jahrelang träumten die Menschen vom Fliegen. Solange als Antrieb dafür nur eine  zwei Tonnen schwere Dampfmaschine in Frage kam, musste es ein Traum bleiben. Erst mit der Erfindung des Ottomotors konnten die Gebrüder Wright plötzlich abheben: Es hatte ein Querschnittstechnologiesprung stattgefunden. Das hohe Gewicht der Dampfmaschine ist wie der hohe Preis für einen Computer, der KI-Rechenleistung erbringen kann. Ich habe vor etwa vierzig Jahren mit einem Commodore angefangen zu programmieren. Sein Prozessor verfügte über 3000 Transistoren. Heute haben High-End-Einzelprozessoren etwa 50 Milliarden Transistoren. Die Prozessorleistung hat sich seitdem also verzehnmillionenfacht. Das eröffnet neue Welten. Man bekommt heute viel mehr Leistung für vergleichbares Geld. Wir erleben einen Durchbruch bei der bezahlbaren Rechenleistung. Wenn der Fortschritt einer Querschnittstechnologie so einen Sprung macht, wenn es plötzlich Ottomotoren und bezahlbare Rechenleistung gibt, dann können sich daraus andere Industrien entwickeln. Also ja: Künstliche Intelligenz ist ein Gamechanger mit enormem Potenzial. Seit wir die Möglichkeit haben, Computer in großem Stil mit hoher Rechenleistung zu betreiben, entwickelt sich die Technologie immer schneller weiter.

In Deutschland gibt es nach Ansicht von Carsten Kraus viele kluge Köpfe in Sachen KI, man müsse es nur schaffen, diese im Land zu halten

Michael Braun: Unternehmen erkennen also, dass KI funktionieren kann, so dass sie sich damit auch beschäftigen. Wie sehen da die ersten Schritte aus?

Carsten Kraus: Eine Datenbasis als Grundlage ist wichtig, aber eine KI muss auch angelernt werden. Auch hier lohnt sich ein Blick zurück: Wenn Sie 1890 ein Auto gekauft haben, mussten sie einen Chauffeur oder Mechaniker einstellen, der sich um alle Themen rund um das Auto gekümmert hat. Genauso benötigen Unternehmen heute Unterstützung bei allen Fragen rund um KI. Wir stehen noch weit am Anfang und jetzt ist die Zeit für Investitionen: Würde die Bundesregierung 100 Milliarden  Euro in KI statt in die Rüstungsindustrie stecken, würde das reichen, um wieder vorne mitzuspielen. Ich glaube auch, dass wir Europäer hier sogar kulturelle Vorteile haben, da wir Neugierde fördern. China leistet unglaublich viel, weil die Regierung zwanzigmal so viel investiert. Und natürlich, weil sie Hindernisse aus dem Weg schafft – um an Daten zu kommen, wurden Unternehmen aufgefordert, diese herauszugeben. In Deutschland ist genau das Gegenteil der Fall. Wir verfügen über viele kluge, kreative Köpfe in Europa. Das Dumme ist nur: Sie absolvieren hier ihr Studium und gehen danach in die USA, weil sie dort bessere Arbeitsbedingungen erwarten. Es hilft nicht viel, wenn man 95 Prozent der Informatiker im Land halten kann, aber die besten fünf Prozent weggehen – dann haben wir keine Chance.

Michael Braun: Wenn wir auf das Thema Fachkräfte schauen: Mittelständische Unternehmen können sich ja vielfach keine eigenen KI-Expert:innen leisten. Sie haben die Perspektive aufgezeigt, dass KI-Kompetenz zugekauft wird. Sehen Sie auch einen Weg in Richtung Partnermanagement oder Plattform-Thematik, so dass sich Unternehmen einfach zusammentun, um dann auch zusammen im Bereich KI unterwegs zu sein und so zum Erfolg zu kommen?

Carsten Kraus: Lassen Sie mich das mit einem Beispiel beantworten: Ich komme aus Pforzheim – die Stadt war einst führend beim Thema Goldschmuck. Mit ehemals 30.000 Angestellten in dieser Branche war sie die reichste Stadt Baden-Württembergs. Dann folgte der Niedergang. Das Ganze ist 40 Jahre her, heute ist sie die Stadt mit der höchsten Quote bei Langzeitarbeitslosen. Was war passiert? Die mittelständischen Unternehmen haben sich gegenseitig nicht die Butter auf dem Brot gegönnt. Es gab keine Kooperationen. Sie hätten sich so gut befruchten können, doch keiner wollte dem anderen einen Einblick gewähren. Und man muss befürchten, dass so etwas auch in der Industrie passiert, weil man Angst hat, gegenseitig etwas weiterzugeben. Hier könnten staatliche Stellen helfen, Vertrauen aufzubauen und die Angst zu nehmen. Unternehmenskooperationen sind nämlich durchaus sinnvoll. Auf der anderen Seite sind sie auch nicht zwingend notwendig. Im Mittelstand hat man schon vielfach einen Softwareentwickler an Bord, der an der Entwicklung der Maschine beteiligt ist, eine App oder eine Steuerungsmechanik programmiert und dazu unter Umständen auch fertige Komponenten einbezieht. Dafür braucht man keine Spezialkenntnisse. Viele Aufgaben sind gar nicht so schwierig – auch das sollte man vor Augen haben.

Von der Bundesregierung erwartet Carsten Kraus größere Investitionen in KI, wenn man im weltweiten Vergleich nicht abgehängt werden möchte.

Michael Braun: Unternehmen erkennen also, dass KI funktionieren kann, so dass sie sich damit auch beschäftigen. Wie sehen da die ersten Schritte aus?

Carsten Kraus: Eine Datenbasis als Grundlage ist wichtig, aber eine KI muss auch angelernt werden. Auch hier lohnt sich ein Blick zurück: Wenn Sie 1890 ein Auto gekauft haben, mussten sie einen Chauffeur oder Mechaniker einstellen, der sich um alle Themen rund um das Auto gekümmert hat. Genauso benötigen Unternehmen heute Unterstützung bei allen Fragen rund um KI. Wir stehen noch weit am Anfang und jetzt ist die Zeit für Investitionen: Würde die Bundesregierung 100 Milliarden  Euro in KI statt in die Rüstungsindustrie stecken, würde das reichen, um wieder vorne mitzuspielen. Ich glaube auch, dass wir Europäer hier sogar kulturelle Vorteile haben, da wir Neugierde fördern. China leistet unglaublich viel, weil die Regierung zwanzigmal so viel investiert. Und natürlich, weil sie Hindernisse aus dem Weg schafft – um an Daten zu kommen, wurden Unternehmen aufgefordert, diese herauszugeben. In Deutschland ist genau das Gegenteil der Fall. Wir verfügen über viele kluge, kreative Köpfe in Europa. Das Dumme ist nur: Sie absolvieren hier ihr Studium und gehen danach in die USA, weil sie dort bessere Arbeitsbedingungen erwarten. Es hilft nicht viel, wenn man 95 Prozent der Informatiker im Land halten kann, aber die besten fünf Prozent weggehen – dann haben wir keine Chance.

Michael Braun: Wenn wir auf das Thema Fachkräfte schauen: Mittelständische Unternehmen können sich ja vielfach keine eigenen KI-Expert:innen leisten. Sie haben die Perspektive aufgezeigt, dass KI-Kompetenz zugekauft wird. Sehen Sie auch einen Weg in Richtung Partnermanagement oder Plattform-Thematik, so dass sich Unternehmen einfach zusammentun, um dann auch zusammen im Bereich KI unterwegs zu sein und so zum Erfolg zu kommen?

Carsten Kraus: Lassen Sie mich das mit einem Beispiel beantworten: Ich komme aus Pforzheim – die Stadt war einst führend beim Thema Goldschmuck. Mit ehemals 30.000 Angestellten in dieser Branche war sie die reichste Stadt Baden-Württembergs. Dann folgte der Niedergang. Das Ganze ist 40 Jahre her, heute ist sie die Stadt mit der höchsten Quote bei Langzeitarbeitslosen. Was war passiert? Die mittelständischen Unternehmen haben sich gegenseitig nicht die Butter auf dem Brot gegönnt. Es gab keine Kooperationen. Sie hätten sich so gut befruchten können, doch keiner wollte dem anderen einen Einblick gewähren. Und man muss befürchten, dass so etwas auch in der Industrie passiert, weil man Angst hat, gegenseitig etwas weiterzugeben. Hier könnten staatliche Stellen helfen, Vertrauen aufzubauen und die Angst zu nehmen. Unternehmenskooperationen sind nämlich durchaus sinnvoll. Auf der anderen Seite sind sie auch nicht zwingend notwendig. Im Mittelstand hat man schon vielfach einen Softwareentwickler an Bord, der an der Entwicklung der Maschine beteiligt ist, eine App oder eine Steuerungsmechanik programmiert und dazu unter Umständen auch fertige Komponenten einbezieht. Dafür braucht man keine Spezialkenntnisse. Viele Aufgaben sind gar nicht so schwierig – auch das sollte man vor Augen haben.

Michael Braun: Also empfehlen Sie, dass Unternehmen sich dem Thema KI öffnen…

Carsten Kraus: Wer sowieso in fünf Jahren schließen möchte, kann von dem Thema die Finger lassen. Für alle anderen, die in die Zukunft denken, gilt: Es wird keine Industrie geben, die ohne KI weiterhin bestehen kann. Ich bin fest davon überzeugt, dass es sämtliche Industrien relevant beeinflussen wird. Und deswegen ist es so wichtig, dass auch die Strategie der Bundesregierung dazu passt.

Michael Braun: Worauf spielen Sie da an?

Carsten Kraus: Die Bundesregierung hat KI als Querschnittstechnologie identifiziert und die Förderung erhöht, um drei Milliarden Euro innerhalb von sechs Jahren. Das klingt viel, ist aber leider trotzdem viel zu wenig. In den USA investieren einzelne Konzerne mehr in die Forschung als die ganze Bundesrepublik zusammen. Den nächsten Fehler sehe ich in der Strategie, KIExpert:innen zu Professor:innen zu machen. Wir holen die Expert:innen, die etwas können, vom Markt, sie werden zu Professor:innen und sind dann damit beschäftigt, Studierende auszubilden, die dann nach dem Abschluss in die USA oder nach China gehen. Das ist eine Spirale, die sich in die falsche Richtung dreht. Wir sollten unsere Talente im Land behalten und sie dabei fördern, die Entwicklungen mit dieser vielversprechenden Technologie voranzutreiben.

Das Interview ist auch in der digitalen Sonderausgabe der ServiceToday zu finden, die als kostenloses ePaper zugangsfrei im ServiceToday-Webclient und in der ServiceToday App für iOS und Android zu finden ist.

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